Beitrag im „Werkstatt-Dialog“: Quo vadis, Eigenprodukte?

titel-kHeute erschien der neue „Werkstatt-Dialog“ – mit einem zweiseitigen Beitrag von mir. Unter der Überschrift „Quo vadis, Eigenprodukte?“ beschreibe ich, warum immer mehr Menschen bereit und gewillt sind, hochwertiger Waren aus sozialer Produktion zu erwerben. Das ist – wie ich der festen Überzeugung bin – ein wichtiger Trend, den gerade Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM) nutzen können – und sollten. Eigenprodukte – so nennen die Werkstätten jene Produkte, die sie selbst entwickelt haben und herstellen, im Gegensatz zu Produkten, die als Auftragsarbeit produziert werden.

Der „Werkstatt-Dialog“ trägt den Untertitel „Das Magazin für Menschenwürde“. Er wird sechs Mal im Jahr von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen (BAG-WfbM) herausgegeben und hat eine Auflage von 4200 Stück. Da die Zeitschrift in Werkstätten für Menschen mit Behinderung ausliegt und auch viele Empfänger in allen Ebenen der Politik adressiert, dürfte die Zahl der LeserInnen erheblich höher sein. Bereits in 2012 gab es dort ein ausführliches Interview mit mir. Damals ging es in erster Linie um entia.de selbst, heute geht es darum, wie die Werkstätten ihre Produkte so weiter entwickeln, dass sie viele KundInnen finden. Den vollständigen Text finden Sie im folgenden:

Quo vadis – Eigenprodukte?

Immer mehr Kunden bevorzugen Waren aus sozialer Produktion

Von Michael Ziegert

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„Eigenprodukte? Das ist für mich Öffentlichkeitsarbeit!“ Das sagte mir vor einer Weile ein Werkstattleiter. Was er damit vermutlich sagen wollte: Eigenprodukte sind nett, aber wirtschaftlich uninteressant. Vermutlich denken viele in den Geschäftsführungen der Werkstätten so. Denn Lohnfertigung ist deutlich lukrativer, die Aufträge sind langfristiger, die MitarbeiterInnen können besser bezahlt werden.

So scheint es aktuell zu sein. Aber die Gefahr besteht, dass man einen durchaus wichtigen Trend an sich vorüberziehen lässt – immer mehr KonsumentInnen bevorzugen Produkte aus sozial fairer Produktion, das belegen zwei aktuelle große Studien. Damit können auch die Eigenprodukte wirtschaftlich interessant werden und zu mehr Unabhängigkeit von Dritten und von wirtschaftlichen Schwankungen werden – wenn man das Potential nutzt.

Lohnfertigung – das bedeutet stabile Auftragslage, regelmäßige Umsätze und Unabhängigkeit von plötzlichen wirtschaftlichen Entwicklungen. So scheint es – aber ist das wirklich so? Wer im Internet sucht, findet immer wieder Artikel von WfbM, die plötzlich in Not geraten sind, weil scheinbar so sicheren Auftraggeber unvermutet Insolvenz angemeldet haben oder ihre Produktion ins (östliche) Ausland verlagert haben. Es gibt Beispiele genug – aber werden sie auch wahrgenommen? Auch der Umgang zwischen Wirtschaft und WfbM hat sich in den letzten Jahren verändert, langsam werden die Schrauben angezogen, bis hin zu Strafzahlungen bei unpünktlichen Lieferungen. Das amerikanisierte, auf Leistung getrimmte Wirtschaftsverhalten dringt immer mehr auch in die Werkstätten vor. Vielleicht ist es ja eine gute Zeit, sich nach Alternativen umzuschauen?

Sozial ist in

„Sozial ist das neue Bio“ – so salopp formulierte es Prof. Dr. Norbert Bolz bereits auf dem Werkstättentag 2012. Er erinnerte an den Beginn der Bio-Bewegung vor 30 Jahren, als viele Skeptiker sagten: „Entweder ökologisch oder wirtschaftlich machbar – beides zusammen geht nicht.“ Heute sind die Skeptiker widerlegt, Bio-Produkte gibt es in jedem Laden. Und Professor Bolz prophezeite, dass dies nun auch die Nachfrage nach sozial produzierte Dinge rapide wachsen werde. Und zwei große Studien aus 2013 geben ihm unumwunden recht.

Die eine Studie heißt „Fair – von der Nische zum Mainstream“ und wurde vom Zukunftsinstitut in Frankfurt verfasst. Anhand von umfangreichen Umfragen ergeben sich klare Aussagen, so beispielsweise, dass die KundInnen einen „ethisch korrekten Mehrwert“ haben wollen. Dass Herkunft zum „wichtigen Verkaufsargument und neuen Qualitätskriterium“ wird. Und dass der Konsum von Dingen aus sozialer Produktion „Prestige und Mehrwert“ mit sich bringt. Mag sein, dass dies vor einigen Jahren noch für nur wenige finanziell Bessergestellte galt. Heute aber sind 82 Prozent der Deutschen „tatsächlich bereit, für sozial verantwortungsvolle Produkte und Dienstleistungen mehr zu zahlen“.

Für WfbM sehr wichtig ist das Fazit des Institutes: „Die Nachfrage nach ethischen Konsumgütern weist relativ geringe Schwankungen auf. Denn gerade in wirtschaftlich unsicheren Zeiten ist Sinnstiftung – auch und gerade im Konsum – ein besonders wichtiger Weg zur persönlichen Zufriedenheit“. Berichte aus dem Jahr 2009 belegen, dass bei gleichzeitigem Umsatzeinbruch in WfbM die Verkäufe von Eigenprodukten hingegen konstant blieben.

Die zweite Studie wurde von der Otto-Group in Auftrag gegeben. Einer ihrer Konzernvorstände fasst das Ergebnis so zusammen: „„Wir können beobachten, dass immaterielle Werte in einer Lebenswelt, die durch materiellen Konsum geprägt ist, immer wichtiger werden. Ethischer Konsum … gibt Verbrauchern die Möglichkeit, ihre eigene Lebensqualität und die anderer zu verbessern.“

Interessant für Werkstattläden ist die Aussage: „Regionales ist vertraut, nah und nachvollziehbar. Regionalen Produkten schenkt man Sympathien, weil die örtliche Nähe von Konsumenten und Produzenten Verbindung stiftet und eine gemeinsame Lebenswelt voraussetzt“. Am Ende der Studie steht der Satz: „Konsumethische Prinzipien sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Sie sind Ausdruck einer Sehnsucht nach Fairness und Respekt.“

Fairness und Respekt? Das sind doch die Stichwörter, für die WfbM in Deutschland vorbildhaft stehen. Warum nicht diese Chance nutzen, um mit Eigenprodukten ein zusätzliches wirtschaftliches Standbein zu schaffen?

Es gibt eine ganze Reihe von Werkstätten, die vormachen, wie es geht. Beispielsweise die Steinhöringer Werkstätten, die hochwertige Büro-Accessoires aus Holz und Edelstahl herstellen. Auf die Frage, wie die Eigenprodukte entstanden sind, sagt die Marketing-Beauftragte Barbara Hinz:

Wir wollten in den 80ern ein weiteres „Standbein“ gründen, um mit diesem unabhängiger von Konjunkturschwankungen zu werden. Nach einem Jahr waren wir profitabel. Wir spezialisierten uns damals auf Nischenprodukte. Im ersten Jahr verkauften wir ca. 20.000 Holzkästen mit unbehandelten Buntstiften und Schreibblöcke aus Umweltpapier. Wir waren eine der ersten, die in diesem Bereich viel Wert auf Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit legten.

Dennoch war der Katalog lange Zeit ein reiner Produkt-Katalog, in dem weder die Wörter „Nachhaltigkeit“ noch „Behinderung“ vorkamen.

„Die Produkt sind so gut, da müssen wir gar nicht reinschreiben, dass sie aus einer Behindertenwerkstatt stammen.“ Diesen Satz habe ich schon vielfach in den vergangenen Jahren gehört. Man vergibt sich dabei aber der Chance, durchaus mit dem sozialen Aspekt auch zu werben – völlig ohne Mitleidsgetue.

Wie man die sozialen Aspekte modern und pfiffig fürs Marketing nutzen kann, zeigen die Steinhöringer Werkstätten seit zwei Jahren in einem neu designten Katalog. Schon der Claim „green & social“ signalisiert drei Aspekte: Es ist nachhaltig, sozial und modern. Auf der Innenseite wird auch gleich als erstes ausführlich erklärt, welche Aspekte mit der Nachhaltigkeit gemeint sind. Nämlich dass es um „handwerkliche Qualität, ein ansprechendes Design und eine sorgfältige Holzauswahl nach ökologischen Kriterien“. Und ebenso: „Mit viel Handarbeit werden die Produkte liebevoll und mit größter Sorgfalt von unseren behinderten Werkstattbeschäftigten gefertigt.“

Ein anders prominentes Beispiel: Das Projekt „side by side“ der Caritas Wendelstein Werkstätten, das von Sabine Meyer gegründet wurde und das mit seinen anspruchsvollen Design-Objekten viele Menschen begeistert – und vielen Menschen mit Behinderung in Deutschland Arbeit verschafft. Hier liegt der Aspekt des Sozialen schon im Namen des Projektes. Und dass Nachhaltigkeit eine wesentliche Grundlage des Projekts ist, kann man beispielsweise auf der Web-Site an prominenter Stelle nachlesen. Hier wird side by side in zwei prägnanten Sätzen nahezu vollständig erklärt:

Aus ökologischen Gründen werden in erster Linie heimische Hölzer verwendet, die Oberflächen bleiben naturbelassen oder werden mit umweltverträglichen Ölen, Wachsen oder Lacken behandelt. Die Produktion erfolgt zu einem großen Anteil in Handarbeit in unseren und achtzehn weiteren Werkstätten für Menschen mit Behinderung.

Die beiden Studien und die praktischen Erfahrungen einiger Werkstätten belegen: Wer Eigenprodukte professionell entwickelt und vermarktet kann damit sein solides Standbein für seine Werkstatt aufbauen. Eine Vielzahl von Argumenten lässt sich für die Vermarktung dieser Produkte nutzen: Sie sind sozial nachhaltig, ökonomisch nachhaltig, ökologisch nachhaltig (immer häufiger), fair trade und ethisch korrekt. Diese Kombination ist in Deutschland einmalig und eine große Chance für Werkstätten.

Michael Ziegert ist Gründer von entia.de und Partner in der Unternehmensberatung „die mitwerker

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