Kann ein Unternehmen, das ausschließlich Produkte aus sozialer Produktion verkauft, auf dem Markt dauerhaft bestehen? Diese Frage stellte sich ein Student der Hochschule Koblenz – und wählte entia als Thema seiner Bachelor-Arbeit. Auf über 100 Seiten erklärt er den Begriff der „sozialen Nachhaltigkeit“, beschreibt die Branche der Werkstätten für Menschen mit Behinderung, das Unternehmen entia und vieles mehr im Detail. Tatsächlich kommt er zu interessanten Schlussfolgerungen. Der Titel seiner Arbeit: „Soziale Nachhaltigkeit – Chancen und Grenzen des Online-Vertriebs von Produkten aus Werkstätten für Menschen mit Behinderung – dargestellt am Beispiel Entia.de“
Die Arbeit von Mathias Schwartz ist die mittlerweile zweite Arbeit in Zusammenhang mit entia. Anfang vergangenen Jahres hatte ein Student des Fachbereichs Kommunikationsdesign als Bachelor-Arbeit eine umfassende, informative Ausstellung zu Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM) in Deutschland verfasst. Die Ausstellung ist mittlerweile in digitaler Form auf der Web-Site www.sozialunternehmen.net zu finden.
Aus einem ganz anderen Bereich kommt Mathias Schwartz. Er ist Student des Fachbereiches Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und hier im Studiengang: Logistik und E-Business. Beste Voraussetzungen also, sich des Unternehmens entia anzunehmen.
Zunächst klärt er die Basis-Themen rund um entia, also den Begriff der Sozialen Nachhaltigkeit wie auch den „Online-Vertrieb als spezielle Form des Marketing“ und „Werkstätten für behinderte Menschen und ihre Bedeutung im Bereich der sozialen Nachhaltigkeit“. Aber seine Arbeit bleibt natürlich nicht bei der Erläuterung der Grundbegriffe stehen, sondern bringt auch neue Aspekte auf. So hat er eine umfangreiche Umfrage mittels eines ausgefeilten Fragebogens durchgeführt, die er nach wissenschaftlichen Erkenntnissen auswertet.
Natürlich lassen sich hier nicht alle Aspekte im Detail darstellen, aber einige Punkte lassen sich durchaus benennen. Beispiel:
Mehr als die Hälfte aller Befragten der jeweilig untersuchten Region (Region Ost: 68 %; Region West: 75 %) achtet beim Kauf von Produkten bereits auf den Produktionsort, bzw. die Produktionsbedingungen. Ein signifikanter Unterschied bei Alter und Geschlecht wurde nicht festgestellt.
Und:
Positiv auffallend sind die Angaben der Teilnehmer auf die Nachfrage zur Bereitschaft des Erwerbs von Produkten aus Werkstätten für Menschen mit Behinderung. In beiden untersuchten Gebieten erklärten sich ca. 80 % bereit, in Zukunft verstärkt diese Waren zu beziehen. Auffallend war zudem auch, dass nicht wie eingangs vermutet die weiblichen Testteilnehmerinnen bereit waren zukünftig auch in Werkstattläden oder Biohöfen einzukaufen, (…) .
Sozialer Beruf oder Vereinstätigkeit haben offenbar keinen Einfluss darauf, ob man sozial produzierte Waren kaufen will:
Die Gruppe der Pflege-, Lehr- und Erziehungskräfte (…) wies nicht wie vermutet eine erhöhte Bereitschaft zum Kauf von Produkten aus Werkstätten für Menschen mit Behinderung ggü. dem Durchschnitt aller Befragten aus. Auch ein Zusammenhang zwischen der freizeitlichen Aktivität im wohltätigen oder sozialen Bereich (Vereinsmitgliedschaft, Zugehörigkeit einer wohltätigen Organisation, etc.) und der Fürsprache des ethischen Konsums konnte nicht festgestellt werden.
Außerdem fand Schwartz bei der Frage nach der Bereitschaft zum Kauf von Produkten aus WfbM einen direkten Zusammenhang zwischen den Werkstattläden und der Bereitschaft, bei entia zu kaufen. Eine der Umfrage-Regionen war das Ahrtal südlich von Bonn. (Mit „POS“ ist in diesem Fall ein Ladengeschäft gemeint.)
Eine zentrale Hypothese, weshalb die Konsumbereitschaft im Ahrtal leicht geringfügiger ausfällt (…), war die Annahme, dass durch die fehlende Möglichkeit eines stationären POS die Existenz des Online-Shops Entia.de nicht wahrgenommen wurde. Mittels Taxonomie der Merkmale … konnte tatsächlich nachgewiesen werden, dass in der Region West ein Zusammenhang zwischen dem Nichterwerb und den nicht existenten, stationären Läden für nachhaltige Produkte besteht.
Heißt vereinfacht: Wer Werkstattläden nicht kennt und/oder auch dort nicht konsumiert, wird auch entia.de eher nicht nutzen. Andererseits sieht der Verfasser der Arbeit auch Chancen gerade im Online-Verkauf, da nicht wenige derjenigen, die eben nicht in Werkstattläden einkaufen, dies mit Zeitmangel begründeten.
Ein anderer Aspekt, den Schwartz beleuchtet: In der Vergangenheit gab es immer wieder Betrügereien mit (scheinbaren) Produkten aus Werkstätten für Menschen mit Behinderung, so dass die Werkstätten schon vor über 20 Jahren beschlossen haben, keine Haustür-Geschäfte mehr abzuwickeln. Dennoch ist nicht selten auch heute noch ein Skepsis gegenüber Werkstatt-Produkten festzustellen. Dazu meint Schwartz:
Um dem Misstrauen der Verbraucher, bezogen auf die Kennzeichnung der Waren vorzubeugen, bietet sich Entia eine zusätzliche Option: Die Preisvergaben deutschlandweit anerkannter Organisationen, wie der „Werkstatt N“, welche Projekte mit ausgeprägtem, nachhaltigen Charakter prämiert, sowie „Deutschland, Land der Ideen“, die Entia jüngst (Frühjahr 2014) zum ausgezeichneten Ort für innovative Ideen ernannte, sind fälschungssicher. Somit können Kunden des Online-Händlers Entia auf die Authentizität des Shops bedenkenlos vertrauen.
Positiv sieht es Schwartz schließlich, dass die Werkstattläden und entia.de nicht in Konkurrenz zueinander stehen.
Vielmehr findet eine „Ergänzung“ der beiden Vertriebskanäle statt. Diese horizontale Unternehmenskooperation erscheint folglich als erfolgsversprechendes Modell. Die
gegenseitige Informationsweitergabe ermöglicht sowohl den Werkstattläden als lokale Vertriebsstandorte wie auch den Online-Händlern, u.a. Entia.de, einen sicheren Zulauf an Kundschaft. (…) Eine Entwicklung, wie sie überwiegend in anderen Konsumfeldern zu beobachten ist, dass Online-Händler den klassischen Vertriebskanal der stationären POS
ablösen, wird jedoch nicht eintreten und sollte (…) auch nicht angestrebt werden.
In seinem Fazit schreibt er („Point-of-Sales“ = Werkstattladen):
Michael Ziegert, Gründer von Entia.de, arbeitet bereits intensiv an der Vernetzung der Werkstätten. Sie wird die Basis legen für die zukünftige, erfolgreiche Unternehmensentwicklung, sowohl von Entia, als auch der stationären Point-of-Sales.
In der Summe muss man zu der Arbeit sagen, dass sie zahlreiche interessante Aspekte vereint, die aktuelle Situation rund um das Thema „Eigenprodukte“ der Werkstätten sehr gut darstellt und auch beachtenswerte Anregungen für die weitere Entwicklung enthält.
Mathias Schwartz hat sehr viel Material gesammelt, das er für seine Arbeit nicht verwenden konnte, um den vorgebenen Rahmen einer Bachelor-Arbeit nicht zu sprengen. Ich hoffe und bin sehr gespannt, ob sich im Werkstattbereich Interessenten finden, die eine weitere Ausarbeitung des Themas durch Mathias Schwartz finanzieren würden.