Mehr Selbstbewusstsein! Werkstätten für Menschen mit Behinderung leisten tolle Arbeit

„Sie sind so stolz!“, freute sich ein Mitglied des Nürnberger Stadtrates am Donnerstagmorgen während einer Gesprächsrunde zur Eröffnung der Werkstättenmesse. Diese Messe ist eine Art Branchentreff der Behindertenwerkstätten und natürlich wird dort intensiv über die Zukunft nachgedacht. Die Äußerung der Politikerin bezog sich auf eine Gruppe von behinderten Menschen, die neuerdings in einem Unternehmen des sogenannten Ersten Arbeitsmarktes arbeiten. Das ist wirklich eine tolle Sache – aber können behinderte Mitarbeiter in einer Behindertenwerkstatt etwa nicht stolz sein auf ihre Arbeit?

Ein Rundgang über die Messe ist immer ein schönes Erlebnis. Hier präsentieren über 100 Werkstätten ihre Eigenprodukte von einer einer so hohen handwerklichen und nachhaltigen Qualität, wie man es sonst kaum findet. Denn wo in Deutschland (oder gar in anderen Ländern) wird sonst noch mit so viele Hingabe aber auch so hohem Anspruch an Produkten gearbeitet? Man wünscht sich ein Gütesiegel: „Gemacht in einer Behindertenwerkstatt“ – als Kunde könnte man sich mit so einem Siegel darauf verlassen, etwas von hoher Qualität in Material, Verarbeitung und Design zu erhalten. Und vor allem: Wo findet man eine Branche, in der man sich so viele Gedanken über die Lebensqualität ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter macht?

Wie viel Geld geben deutsche Unternehmen wohl für Management-Coaching zur Mitarbeiterführung aus? Wie viel Produktivität geht wohl verloren, weil Menschen sich nicht wohl fühlen mit ihrer Arbeit? Wie viel Engagement schwindet, weil sich Abteilungsleiter zu wenig Gedanken über die Fähigkeiten und das Befinden ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter machen? Da könnten Behindertenwerkstätten Vorbild sein.

Gute Arbeit, gutes Klima, gute Produkte – aber statt nun mit Stolz und erhobenen Hauptes seine Leistungen zu präsentieren schwingt in vielen Selbstdarstellungen ein „auch“ mit. „Wir leisten auch eine tolle Arbeit.“ und „Wir produzieren auch tolle Dinge.“ Da würde ich mir mehr Selbstbewußtsein wünschen.

Tatsächlich sind Werkstätten aber immer im Konflikt. Formal sind sie Einrichtungen zur Rehabilitation, somit nur ein temporärer Aufenthaltsort. So wie man nach einem Unfall die Leistungen einer medizinischen Rehabilitation nutzen kann, um anschließend wieder gesund und leistungsfähig zu sein, so sind die Werkstätten als Orte gedacht, in denen Menschen fit gemacht werden für den Ersten Arbeitsmarkt. So ist es offiziell – aber mit der Wahrheit hat das kaum etwas zu tun. Denn viele Menschen dort könnten zwar ihre handwerklichen und sonstigen fachlichen Qualitäten auch in Betrieben außerhalb von Behindertenwerkstätten erbringen. Aber faktisch sind die wenigsten Unternehmen dazu in der Lage – oder auch nur bereit. Meist ist das soziale Umfeld innerhalb des Unternehmens nicht dazu geeignet.

„Am Anfang steht, dass sich die Gesellschaft verändert“, sagte Günter Mosen am Donnerstag. Mosen ist der Vorsitzende der BAG:WfbM, des Dachverbandes der Behindertenwerkstätten. Zwischen den lauten Tönen der Politiker klang es fast ein wenig leise. Dabei trifft er den Kern des Themas damit exakt: Wenn wir in allen Unternehmen darauf achten, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Qualifikationen, Möglichkeiten und Wünschen entsprechend beschäftigt werden, dann stellt sich die Frage einer Behinderung gar nicht mehr, dann werden Behindertenwerkstätten vielleicht überflüssig sein. Aber dazu müssen wir alle uns erst selbst verändern, in unserem Denken und Handeln.

Und bis die Gesellschaft so weit ist, sollte man die Arbeit der Werkstätten sehr hoch schätzen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort machen einen wirklich tollen Job, gleich ob behindert oder nicht!

 

 

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