Offener Brief an Sina Trinkwalder, manomama

Liebe Frau Trinkwalder,

ich habe heute morgen im Internet eine Pressemitteilung über eine Veranstaltung gefunden, bei der Sie gestern einen Vortrag gehalten haben, nämlich auf dem „Düsseldorfer Nachhaltigkeitstreff“. In der Pressemitteilung werden Sie mit folgendem Satz zitiert:

„Wenn Sie ein soziales Unternehmen gründen, haben Sie mit Vorwürfen wie Behindertenwerkstatt und Wohlfahrtsamt zu kämpfen“, sagte die 34-Jährige.

Sorry, Frau Trinkwalder, wenn Sie das wirklich so gesagt haben – und davon muss ich ausgehen – dann finde ich das ganz und gar nicht in Ordnung.

Mit manomama haben Sie ein Unternehmen gegründet, das für „ein regional verankertes, transparentes Wirtschaften“ steht „das Menschen vom Rand der Gesellschaft in deren Mitte holt und überzeugende Produkte anbietet.“ Das ist eine gute Sache und eigentlich ist unsere Motivation als Unternehmerin und Unternehmer sehr ähnlich. So wie Sie, liebe Frau Trinkwalder, Frauen unterstützen möchten, die sonst auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt nur schwerlich eine Arbeit finden, so soll entia soll dazu beitragen, dass Menschen mit ihrer Arbeit eine optimale Förderung an einem angemessenen Arbeitsplatz erfahren. Bei uns sind es speziell Menschen mit Behinderungen und zwar vorwiegend solche mit kognitiven oder psychischen Schwierigkeiten.

Die Fördermittel für Menschen mit Behinderung steigen insgesamt, weil es immer mehr werden. In den Werkstätten für Menschen mit Behinderung jedoch bleiben die Fördermittel  pro Mitarbeiter konstant oder sinken – der wirtschaftliche Druck auf solche Werkstätten steigt also. Industrie und Gewerbe vergeben durchaus gerne Aufträge an Behindertenwerkstätten – weil sie damit die (zu niedrige) Ausgleichsabgabe einsparen können. Aber im Zweifel werden diesen Werkstätten die Aufträge so schnell wieder entzogen wie anderen Zulieferern auch. Da können Werkstatt-Eigenprodukte, wie sie entia vertreibt, ein zusätzliches Standbein bieten.

Warum ärgert mich nun Ihre Aussage?

Sie sprechen von einem „Vorwurf“ und natürlich sind diese Aussagen auch diffamierend. Aber mit diesem Satz haben Sie sich den Vorwurf zu eigen gemacht, Sie möchten sich offenbar von Behindertenwerkstätten deutlich distanzieren. Ich unterstelle Ihnen dabei keine Absicht, zumindest verstärken Sie damit aber die verbreiteten  Vorurteile zu Behindertenwerkstätten.

Ich gehe davon aus, dass Sie noch keine Behindertenwerkstatt besucht haben, sonst wäre Ihnen eine solche Aussage vermutlich nicht unterlaufen. Auch in Augsburg gibt es diese als WfbM bezeichneten Unternehmen – immerhin gibt es über 2200 solcher Betriebe in Deutschland. Sie bieten über 290.000 Menschen mit Behinderung einen Arbeitsplatz. Und Ihnen würde das Herz aufgehen, wenn Sie erleben würden, mit wie viel Herzblut und unglaublichem Engagement ausgebildete HandwerkerInnen, aber natürlich auch SozialarbeiterInnen und andere Fachleute,  in den Werkstätten dafür sorgen, dass den Menschen mit Behinderung dort ein angemessenes psychosoziales Umfeld geboten wird.

Um auch anderen gleich was zum Stichwort „Inklusion“ zu sagen – wenn der „Erste Arbeitsmarkt“ alle Menschen aufnehmen und angemessen behandeln würde, dann wären Behindertenwerkstätten vielleicht überflüssig  – vielleicht dann auch entia und manomama.  Davon sind wir in der Realität aber leider weit entfernt.

Liebe Frau Trinkwalder, wir haben also offenbar sehr ähnliche Ziele. Wir wollen Menschen eine sinnvolle Arbeit geben. Und wir wollen nachhaltige Produkte schaffen – was Werkstätten mit der Verwendung von regionalem Holz und Naturölen zur Oberflächenbehandlung etc. häufig ebenso gelingt. Bitte seien Sie so gut und respektieren Sie Behindertenwerkstätten als ebenso soziale Unternehmen wie Ihres – das macht Ihr eigenes Unternehmen nicht schlechter.

Mit herzlichem Gruß

Michael Ziegert

 

 

 

 

12 Kommentare zu „Offener Brief an Sina Trinkwalder, manomama“

  1. Kerstin Pfeiffer

    Werter Herr M. Ziegert
    Nein in Behindertenwerkstätten werden den Mitarbeitern im allgemeinen keine Gehälter bezahlt. Sie werden mit Hatz 4 und kleineren Zuwendungen abgespeist,
    Ihre Arbeit wird als Hilfsarbeit angesehen und auch nur in dieser Höhe entlohnt.
    Schade, daß sie den Unterschied zwischen -Er darf arbeiten gehen- und -Er macht etwas Sinnvolles und wird dafür korrekt entlohnt-nicht kennen.
    Nach dem zweiten Weltkrieg hätte man ganz schön alt ausgesehen, hätte die Wirtschaft alle Psychos !!! und Arm/Beinamputierte in Wartehallen auf Halde gestellt. Dann hätte es das Wirtschaftswunder nicht gegeben. Und bitte erzählen sie nichts vom Bären, daß was dort gezahlt wird ist eine Frechheit. Teilweise arbeiten diese Werkstätten für Luxusunternehmen. Die Zeiten werden sich ändern, es wird schneller gehen als sich manch Unternehmer bewußt ist.
    mit freundlichen Grüßen
    KP

  2. Hallo Frau Pfeiffer,

    wenn Sie eine andere Form der Entlohnung in den Werkstätten wünschen, so steht dies nicht im Widerspruch zu meinem Text – und genau genommen noch nicht mal in einem Zusammenhang.

    Mit freundlichem Gruß
    Michael Ziegert

  3. Patricia Bennett

    Hallo Herr Ziegert,

    auch ich war bei der erwähnten Veranstaltung nicht dabei und kann deshalb nicht beurteilen, ob und in welchem Zusammenhang Frau Trinkwalder den von Ihnen beanstandeten Satz gesagt hat.

    Allerdings bin ich selbst schwerbehindert und habe in einer WfbM gearbeitet. Meine Erfahrung: Ich gab mit 3.000 Anschlägen in 10 Minuten das „Pflegesatzhandbuch“ ein. Dafür erhielt ich damals 40 Pfennig pro Stunde. Der Sozialpädagoge, der mir zeigte, welchen Text ich einzugeben hatte, bekam sein volles Gehalt.

    Aus Sicht von Unternehmern, die wirtschaftlich arbeiten, ist häufig der Begriff „Vorwurf“ gerechtfertigt. Viele WfbM nutzen tatsächlich die Mitarbeiter aus, indem sie ihnen keine angemessenen Löhne zahlen UND ihnen auch den weiteren Karriereweg auf den ersten Arbeitsmarkt verwehren, um sich die für sie „billigen“ Arbeitskräfte zu erhalten. Eine Behindertenrente wird nämlich den behinderten Mitarbeitern lediglich dann erwirkt, wenn diese in einer WfbM verbleiben. Selbst von bereiten Unternehmen des 1. Arbeitsmarktes, diesen Menschen einen angemessenen Arbeitsplatz zu ermöglichen, verlangen WfbM häufig Geld, damit die Werkstatt am Mitarbeiter „beteiligt“ bleibt. Nicht mal im Rahmen der gesetzlichen Änderungen zum persönlichen Budget haben WfbM ihr System angepasst. Zumindest Menschen mit Lernbehinderungen werden oft noch nicht von ihren WfbM freigestellt, um sich selbstständig im 1. Arbeitsmarkt zu bewegen.

    Insofern kann ich mir durchaus vorstellen, dass ein Vergleich der sozialen Arbeit AUF dem 1. Arbeitsmarkt, die Frau Trinkwalder erstellt, zu einem veralteten System der WfbM (oder nachgenannt auch ein ebenso veraltetes und menschenunwürdiges System, wie es Wohlfahrtsamt genannt war) zu einem Vorwurf wird.

    Ich stehe nunmehr selbst vor der Gründung eines Sozialwirtschaftsunternehmens für 60 voll bezahlte Arbeitsplätze – auch ich werde Mitarbeiter nicht nach den Aspekten behindert oder nicht behindert auswählen, sondern MENSCHEN einstellen, welche bei guter Anlernung einen entsprechenden Lohn für ihre Arbeit erhalten (mein Mindestlohn: 10.- Euro/Stunde/Brutto). Auch ich werde bevorzugt Menschen einstellen, die bei rein wirtschaftlich ausgerichteten Unternehmen keine reelle Chance erhalten.

    Ich möchte dann nicht mit den „Modellen“ WfbM oder Wohlfahrtsamt verglichen werden. Persönlich empfände ich dies sicherlich auch als Vorwurf. Für Frau Trinkwalder kann ich nicht sprechen – wohl aber für mich.

    Mit freundlichem Gruß
    Patricia Bennett

    1. Hallo Frau Bennet,

      vielen Dank für Ihre ausführliche Stellungnahme.

      Zunächst einmal: Es sind nicht „die“ Werkstätten, die den Lohn der Beschäftigten festlegen. Sondern es gibt gesetzliche Grundlagen zur Bezahlung der WerkstattmitarbeiterInnen. Es handelt sich also nicht um einzelne Werkstätten, die nach Lust und Laune agieren, sondern es handelt sich um ein politisch beschlossenes System der Lohnfindung – über das man natürlich vortrefflich streiten kann, darf und soll. Im übrigen gibt es auch Vorteile dieses Systems, denn der Schutz reicht erheblich weiter als beispielsweise jener durch die Tarifverträgen im Öffentlichen Dienst. Wie gesagt: Man kann darüber herrlich streiten, aber ein Vergleich zwischen WfbM und Unternehmen des sogenannten Ersten Arbeitsmarktes ist dabei nicht hilfreich.
      Werkstätten können ihre Mitarbeiter auch nicht „ausnutzen“, da es sich bei den Trägern von anerkannten Werkstätten um gemeinnützige Einrichtungen oder Vereine handelt, die per se nicht profitabel arbeiten können oder müssen. Dass so manche Werkstatt noch nicht gut oder motiviert genug darin ist, ihren Mitarbeitern auf dem Weg in den Ersten Arbeitsmarkt zu helfen, mag sein. Spätestens mit dem „Budget für Arbeit“ können Menschen mit Behinderung frei ihren Arbeitsplatz suchen – wenn ihnen denn der allgemeine Arbeitsmarkt wirklich genug Plätze bieten würde. Und das scheint mir das größere Problem zu sein. Im übrigen: Wenn Sie wirklich Werkstätten kennen, die sich „Betriebsintegrierte Arbeitsplätze“ bezahlen lassen, so sollten Sie das umgehend der Presse mitteilen.
      Es ist schade, wenn Sie schlechte Erfahrungen gemacht habe. Daraus aber pauschal auf ein „menschenunwürdiges System“ zu schließen, wird der Sache nun wirklich nicht gerecht.
      Dass Frau Trinkwalder und nun auch Sie unternehmerisch und sozial aktiv sind, finde ich hervorragend. Von solchen Unternehmen kann es gar nicht genug geben. Meine Kritik an Frau Trinkwalders Aussage besagte, dass man WfbM nicht schlechtreden muss, um das eigene Unternehmen gut dastehen zu lassen.
      Dass Sie nun selbst aktiv werden und ein Sozialunternehmen starten finde ich großartig! Ich würde mich freuen, wenn Sie mir bei Gelegenheit mehr von Ihrem Unternehmen schreiben würden.

      Mit freundlichem Gruß
      Michael Ziegert

      1. Patricia Bennett

        Hallo Herr Ziegert,
        danke für Ihre schnelle Reaktion. Gerne erzähle ich Ihnen bei Gelegenheit mehr über mein Gründungsvorhaben – es ist ein Regionalförderkonzept für ein ländliches Gebiet das sich neben dem Thema ARBEIT auch den Themen LEERSTANDSBESEITIGUNG und MOBILITÄT widmet. Weiteres möchte ich – da noch vor Gründung – gerne in einem persönlicheren Kontakt mit Ihnen erzählen, denn noch ist es für eine große Öffentlichkeitsarbeit zu früh. (Sicher darf ich mir doch Ihre emailad dafür heraussuchen?).

        Hier aber noch einmal zurück zu Ihrer Antwort auf meinen Kommentar. Sie schreiben unter anderem:

        „Werkstätten können ihre Mitarbeiter auch nicht “ausnutzen”, da es sich bei den Trägern von anerkannten Werkstätten um gemeinnützige Einrichtungen oder Vereine handelt, die per se nicht profitabel arbeiten können oder müssen“

        Ganz ehrlich, mir ist es nicht wichtig, ob es die WfbM sind, welche die Mitarbeiter ausnutzen, oder ob es die WfbM sind, welche ein System präsentiert bekommen und nutzen, UM MENSCHEN AUSZUNUTZEN. 🙂 Fakt ist: Die Arbeit der Mitarbeiter ist LEISTUNG und für diese Leistung erhalten die Mitarbeiter keinen angemessenen Lohn. Dass gemeinnützige Einrichtungen nicht profitabel arbeiten können oder müssen, sagt eigentlich nichts über die Löhne für gute Arbeit aus – sondern lediglich, dass diese keine (hohen) GEWINNE einfahren dürfen. Aber sei es, wie es will – unter anderem deshalb VERZICHTE ich gerne auf jegliche so genannte Gemeinnützigkeit. Denn vor lauter Bürokratie der Gemeinnützigkeit würde ich mich vom wirklichen gemeinnützigen TUN abgehalten fühlen. Lieber hebe ich die Produktivität meines Unternehmens dahingehend, meinen Mitarbeitern aus den Produktionsgewinnen (Absatz) anständige Löhne zahlen zu können, die in manch anderem Unternehmen in der „höheren Ebene“ versacken. Nicht ich möchte Millionärin werden, sondern ALLE meine Mitarbeiter sollen von ihren Löhnen gut leben können.

        PS: schade, dass die Captcha auf dieser Seite absolut nicht barrierefrei sind … ich habe nur 40% Sehfähigkeit und auch nach mehrfachem Neuaufruf der Captchas ist ein Lesen oft nicht möglich.

        Mit freundlichem Gruß
        Patricia Bennett

        1. Hallo Frau Bennett,

          vielen Dank für den Hinweis, ich habe das Captcha jetzt mal ganz abgeschaltet und hoffe, dass meine Antispam-Lösung das verträgt.

          Email bitte ggfs. an info@

          Mit freundlichem Gruß
          Michael Ziegert

          1. Patricia Bennett

            Hallo Herr Ziegert,

            Danke nochmals für Ihr schnelles Reagieren (Capcha). Ich werde mich bezüglich meines Gründungsvorhabens dann morgen im Laufe des Tages unter genannter emailad bei Ihnen melden.

            Mit herzlichem Gruß
            Patricia Bennett

  4. Patricia Bennett

    PS: Zu Ihrem Satz (hier Zitat: „Um auch anderen gleich was zum Stichwort “Inklusion” zu sagen – wenn der “Erste Arbeitsmarkt” alle Menschen aufnehmen und angemessen behandeln würde, dann wären Behindertenwerkstätten vielleicht überflüssig – vielleicht dann auch entia und manomama. Davon sind wir in der Realität aber leider weit entfernt.“) noch Folgendes:

    Frau Trinkwalder hat keine Behindertenwerkstatt gegründet, sondern ein wirtschaftlich tragfähiges UND soziales Unternehmen. Sie agiert also auf dem „ersten Arbeitsmarkt“ DAMIT tatsächlich irgendwann viele Unternehmer mitmachen und nie wieder MENSCHEN für ihre Leistung nicht angemessen bezahlt werden. Das gleiche gilt auch für das Unternehmen, welches ich 2015 gründe – ich gründe als wirtschaftlich tragfähiges Unternehmen aus mit vielen sozialen Vorteilen für die Mitarbeiter. Ich gründe nicht einmal als gGmbH oder dgl. aus.

  5. Sina Trinkwalder ist sicherlich ein streitbarer Mensch. Noch viel mehr ist sie aber ein handelnder Mensch. Sie ist nämlich zu allererst Mensch für andere Menschen. In dem, was sie tut, und vor allem, wie sie es tut, geht sie uns allen eigentlich voran. Ich werte sie zuallererst nach ihrem Handeln, und da kann ich gar nicht genug Hüte tragen, die ich vor ihr ziehen könnte. Und nein, sie tut es nicht, um irgendwelche Anerkennungen und Schulterklopfen zu bekommen, sondern weil es ihre Überzeugung ist. Ich kenne sie ja nicht persönlich, bin mir aber in meiner Einschätzung zu ihrer Person sehr sicher.
    Sich über einen nicht (direkt) beantworteten (öffentlichen) Brief, dem eine eine recht beliebige Interpretation eines Halbsatzes von Trinkwalder zugrunde liegt, zu beschweren, zeugt eher von persönlicher Befindlichkeit denn wirklichem Interesse an der Sache – jedenfalls nach meinem Empfinden.

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