Für ein Fazit ist es sicher zu früh – schließlich endet die Messe ja erst heute abend. Aber die für mich interessanten Tage waren natürlich die ersten beiden, die den Fachbesuchern vorbehalten sind. Hier konnte ich viele neue Produkte finden, die in den nächsten Wochen nach und nach ins entia-Sortiment rutschen werden. Und ich habe wieder viel gelernt über eine erstaunlich hochdynamische Branche.
Wenn man schon mal Fachbesuchertage bei einer anderen Messe erlebt hat – sei es Cebit, Photokina, Buchmesse oder was auch immer – wird man beim ersten Mal in Nürnberg vielleicht überrascht sein. Denn die Fachbesucher sind hier zumeist nicht mit Schlips und dunklem Anzug oder im Kostüm unterwegs. Die Fachbesucher der Werkstättenmesse sind zumeist Mitarbeiter der Werkstätten, die auf der Messe mit einem Stand vertreten sind. Sie nutzen diese Gelegenheit zu einer Art Betriebsausflug. Was aus der Messe eine Art charmantes Happening macht, denn es gibt wohl wenige Gelegenheiten in Deutschland, bei denen man so vielen Menschen mit (geistiger) Behinderung begegnet wie in diesen beiden Tagen in Nürnberg. Wer sich schon mal in Eile durch die vollgepressten Gänge einer internationalen Messe gequetscht hat, wird die fröhliche Gelassenheit der Werkstättenmesse geniessen.
Was beim Besuch der Messe völlig selbstverständlich erscheint ist die enge Nähe zu Bio- und Öko-Themen. Das mag Außenstehende zunächst verblüffen, ist aber nur folgerichtig. Denn wenn man sich täglich mit einem bestimmten Material oder Verfahren beschäftigt, ist es nur natürlich, dass man auf Dauer zu der Erkenntnis kommt, dass Qualität ein wesentlicher Faktor des Produktes ist. Warum sollte man ein Spielzeug, in das man so viel Handarbeit, Zeit und Liebe zum Detail einbringt, aus billigem Fichtenholz fertigen? Da nimmt man doch lieber ein heimisches, wertvolleres Eichen- oder Kirschbaumholz. Und damit sind die Dinge nicht nur hübscher, sondern natürlich auch haltbarer. Und schon ist man auf kürzestem Weg beim Thema Nachhaltigkeit angelangt. Und folgerichtig sind die meisten Lebensmittel aus Behindertenwerkstätten – gleich ob Essig, Öl, Wurst oder Wein – mit einem Bio-Siegel versehen, etwa von Bioland oder Demeter.
Die Produkte, die man auf der Werkstättenmesse findet, sind aus den beschriebenen Gründen durchweg sehr hochwertig. Und obendrein noch sehr originell. Denn während bei den meisten „normalen“ Betrieben Produkte aus einer Marktbetrachtung heraus entstehen – was wird nachgefragt, das wird produziert – sind Schwerpunkte in Werkstätten (ich traue mich zu sagen:) häufig aus der persönlichen Geschichte einzelner Mitarbeiter entstanden, nach deren Fähigkeiten aber auch Vorlieben. (In der „Szene“ wird übrigens meist nicht einfach von Produkten gesprochen, sondern von Eigenprodukten. Denn viele Werkstätten produzieren ja auch Dinge als Auftragsarbeiten.)
Aber es sind auf der Werkstättenmesse keineswegs nur Behindertenwerkstätten vertreten – sondern auch branchennahe Unternehmen, die ihre Produkte an Werkstätten verkaufen wollen, von Warenwirtschafts-Software über Verpackungsmaterial bis hinzu Arbeitsstühlen. Deswegen ist es für eine Besucher schwer zu sagen, ob die Messe sich gegenüber dem Vorjahr verändert hat. Subjektiv erscheint mir: Es waren weniger Werkstätten da. Im Gespräch hört man immer wieder, dass man zwar – gerade an den Publikumstagen – viele Produkte verkaufe. Der eigentliche Zweck aber, den Kontakt zu Händlern (wie eben entia) zu pflegen oder aufzubauen, häufig nicht erreicht wird. Je nach Spezialisierung werden andere Messen für die Werkstätten wichtiger, etwa die Spielwarenmesse oder Design-orientierte Messen.
Was man aber kaum auf einer anderen Messe finden wird, ist das natürlich hochspezialisierte Rahmenprogramm. Etliche Diskussionsveranstaltungen und Fachvorträge zogen eine Vielzahl von Besuchern an. Ich selber habe mir den Vortrag „Chancen und Probleme des Markteintritts neuer Werkstattprodukte“ angehört, der von Professor Dr. Karl Venker gehalten wurde. Er hat einen Lehrstuhl für Marketing an der Ohm-Hochschule in Nürnberg, ist schon seit einigen Jahren Mitglied der Jury, die über den „exzellent“-Produktpreis der Werkstätten entscheidet, hat schon diverse Produkte in Werkstätten mitentwickelt und ist dementsprechend ein intimer Kenner der Branche. Sein Vortrag hielt er in erfreulich lockerer Manier, der Inhalt hat aber so viele Dinge auf den Punkt gebracht, dass ich darüber einen separaten Blog-Eintrag in den nächsten Tagen verfassen werde. Was mich natürlich ungeheuer gefreut hat: Im persönlichen Gespräch nach dem Vortrag bezeichnete er entia als „tolle Idee“.
Was hat mir der Besuch der Messe gebracht? Ich habe viele sympathische Menschen kennengelernt, zu denen ich zum Teil zuvor nur via Telefon oder Email Kontakt hatte. Ich habe tolle Gespräche geführt und wieder viel gelernt über die ungeheure Dynamik und den Wandel dieser Branche weg von Standardprodukten hin zu Dingen, bei denen Nachhaltigkeit eine zentrale Rolle spiel. Und ich wurde von vielen darin bestätigt, dass entia das richtige Projekt zur richtigen Zeit ist.
Schließlich habe ich natürlich einen ganzen Koffer voll von Prospekten, Listen und anderem Info-Material mit zurück ins oberbergische Much mitgebracht, die ich erst mal durcharbeiten darf. Jetzt werde ich viele neue Dinge bestellen, die das Sortiment von entia erheblich erweitern werden. Darauf freue ich mich schon sehr.
Und worüber habe ich am lautesten gelacht? Über einen großartigen Spruch der Stephanus-Werkstätten, den sie auf einem großen Schild über ihrem Stand angebracht hatten:
„Wir bearbeiten Holz, Metall und Vorurteile.“
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