Wenn vor einigen Jahren das Gespräch auf „Behinderung“ kam, so kam mit Sicherheit bald die Aussage eines gutmeinenden Menschen: „Sind wir nicht alle behindert?!“ Womit gemeint war, dass wir alle unsere Schwächen haben. Das ist nach wie vor richtig, aber unser Blick auf die Menschen hat sich dennoch gewandelt. Denn umformuliert bedeutet der Satz nichts anderes als: „Wir sind doch alle gleich.“ Aber ist das wirklich so?
Heute sehen wir das anders. Auch wenn es sprachlich wie das direkte Gegenteil klingt, sagen wir heute: „Wir sind alle anders.“ Soll heißen: Wir erkennen unsere Unterschiede an, kein Mensch ist wie der andere, und eine Behinderung ist nur eine von vielen Aspekten im menschlichen Sein. Jeder Mensch ist anders, und das ist gut so. Gerade die Vielfalt macht unser Leben reizvoll.
Warum das hier zum Jahreswechsel mein Thema ist? Das Sortiment von entia setzt sich aus Produkte zusammen, die in Werkstätten für Menschen mit Behinderung gefertigt werden. Hier werden die Fähigkeiten der Menschen gefördert – nicht in erster Linie deren Schwächen thematisiert. Und damit können so manche dieser sozialen Unternehmen auch als Vorbild für unsere Gesellschaft dienen.
Mich hat mal ein Unternehmer gefragt, warum er bei der Personalentwicklung eigentlich jene Fähigkeiten seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterstützen soll, die nicht so ausgeprägt sind – so passiert es in der Gegenwart häufig noch. Logisch betrachtet ist das Ergebnis: Mehr durchschnittliche Mitarbeiter. Wem nützt das? Weder den Menschen, noch den Unternehmen.
Also weg vom Blick auf die Schwächen, hin zur Förderung der Stärken. Wenn jemand in einem Bereich nicht so stark ausgeprägte Fähigkeiten hat, so ist es meist viel leichter, in dem Wissen um diese Schwäche damit umzugehen – als sie oder ihn zu Fortbildungen zu zwingen, die nur zu Stress führen.
Und eben dies einfühlsame Wissen um die Stärken von Menschen ist in vielen Behindertenwerkstätten gelebte Praxis. Es gibt dort von der Arbeit losgelöst Angebote zur Persönlichkeitsentwicklung – und das ist gut so. Aber auch im gelebten Alltag wird mehr als in anderen Unternehmen betrachtet, wo die Fähigkeiten und Möglichkeiten einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters liegen. Für viele Menschen ist es schön, nach vielen unterschiedlichen Arbeitsschritten ein eigenes, fertiges Werk in Händen zu halten – aber andere Menschen wären damit überfordert, so viele Dinge zu tun und zu beachten, um ein fehlerfreies Ding zu fertigen. Sie sind fitter darin, gleichförmige Aufgaben zuverlässig zu erledigen. Sie freuen sich, morgens einen Stapel von unfertigen Dingen auf ihrer Werkbank zu finden, und empfinden Stolz, wenn diese Dinge am Abend abgearbeitet sind. Wieder andere würde es nervös machen, wenn morgens ein Stapel auf dem Tisch liegen würde. Die Frage: „Oje, schaffe ich denn das alles?“ würde sie eben daran hindern es zu schaffen. Denn: Jeder Mensch ist eben anders.
All diese Unterschiedlichkeiten im Sosein und Dasein von Menschen müssen in Behindertenwerkstätten sehr stark beachtet werden. Manchmal stärkt man die Fähigkeiten und das Selbstbewusstsein so sehr, dass die Menschen ihr Potential so erweitern und somit in anderen, „normalen“ Betrieben arbeiten können.
Ich wünsche mir für das Jahr 2012, dass mehr Betriebe ihren Blick mit gleicher Zuwendung auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auf Kolleginnen und Kollegen richten, wie das in Behindertenwerkstätten geschieht. Wenn es als größter Erfolg des Unternehmens angesehen wird, wenn sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterinnen positiv entwickeln. Und das meine ich wörtlich: Wenn Sie Arbeitgeber oder Arbeitgeberin sind oder Personalchefin oder Personalchef, dann rufen Sie doch mal in einer Behindertenwerkstatt in Ihrer Nähe an und fragen, ob Sie einen Tag hospitieren dürfen. Ich garantiere Ihnen, nach diesem Tag sehen Sie ihr eigenes Unternehmen mit ganz anderen Augen – und Ihr Unternehmen wird erfolgreicher sein, als je zuvor.
Ich wünsche Ihnen einen guten Rutsch und ein gesundes, erfolgreiches Jahr 2012!