„Verkaufen Sie auch Klopapier?“ Nein, nein, niemals!

„Hm“, sagte mein Steuerberater, als ich ihm zum ersten Mal von meinem neuen Projekt erzählte. „Das sind doch die, die vor Weihnachten an der Haustür selbstgemalte Karten verkaufen, nicht wahr?“

„Hm“, sagte mein Hausarzt. „Die sind immer so aufdringlich. Die rufen ständig an und wollen mir Besen und Bürsten verkaufen.“

Dergleichen Äußerungen zu Behindertenwerkstätten habe ich schon einige erlebt. Okay, verstanden – es ist Zeit, mal mit ein paar Vorurteilen aufzuräumen!

Anlass dieses Blog-Beitrags ist ein Anruf in der vergangenen Woche. Eine Einkäuferin eines großen deutschen Unternehmens (über 1000 Mitarbeiter) fragt: „Verkaufen Sie auch Klopapier?“ Ich musste kurz schlucken – auf diese Frage war ich nicht vorbereitet. Aber es klärte sich schnell. Sie beschrieb, dass schon seit geraumer Zeit sehr aufdringliche Leute regelmäßig anrufen würden, sich zum Teil bis zur Geschäftsführung durchdrängeln würden. Sie bieten „Klopapier aus Behindertenwerkstätten“ und sonstige Hygieneartikel an. Und tatsächlich hätten Sie schon den einen oder anderen Auftrag auf diese Weise ergattert.

Nun rief die Einkäuferin also bei entia an. „Am liebsten wäre es mir, ich könnte denen sagen, wir haben schon eine andere Quelle“, sagte sie und klang dabei ein winziges bisschen hilflos.

Ich habe das recherchiert und konnte ihr schon nach wenigen Minuten bestätigen, was ich mir schon gedacht hatte: Es gibt in ganz Deutschland keine Behindertenwerkstatt, die Klopapier herstellt. Die aufdringlichen Verkäufer kaufen das Papier sonstwo, lassen es in einer Behindertenwerkstatt als Auftragsarbeit umpacken und verkaufen es dann mit dem Hinweis, die Produkte stammten „aus“ einer Behindertenwerkstatt.

Also:

Kein Klopapier: Nein, es gibt in Deutschland keine einzige Behindertenwerkstatt, die Klopapier produziert. Dazu wären auch riesige Investitionen erforderlich, denn dazu braucht man millionenteure Maschinen.

Besen am Telefon: Es gibt in Deutschland einige wenige Blindenwerke, die aus historischen Gründen sogenannte „Kalt-Aquise“ betreiben dürfen, also von sich aus und ungefragt bei potentiellen Kunden anrufen dürfen. Dieses Recht haben sie aus dem letzten Jahrhundert in die Jetztzeit hinübergerettet. Aber: Der Gesetzgeber erlaubt die Aufnahme von Mitarbeitern in solche Blindenwerkstätten nicht mehr – Menschen mit Sehbehinderung lassen sich heute mit entsprechender Schulung und angemessenen Hilfsmitteln häufig auf dem ersten Arbeitsmarkt unterbringen. Die Blindenwerke sind also ein aussterbendes Modell.

Niemals an der Tür: Wenn jemand an Ihrer Haustür klingelt und behauptet, er verkaufe Produkte aus Behindertenwerkstätten – rufen Sie die Polizei! Es handelt sich definitiv um einen Betrüger. Die Deutschen Behindertenwerkstätten sind in der „Bundesarbeitsgemeinschaft WfbM“ organisiert und haben zum Verkauf an der Haustür eine unzweideutige Position:

Zahlreiche Handelsfirmen nutzen schamlos das Mitleid und die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung für ihre einträglichen Telefon- und Haustürgeschäfte. Sie bieten Billigprodukte zu überhöhten Preisen an und behaupten, sie stammten aus „Behindertenwerkstätten“. Die erzielten Gewinnspannen sind beträchtlich. Diese Wirtschaftsunternehmen scheuen auch nicht davor zurück, für den Vertrieb ihrer Waren behinderte Menschen einzustellen, um ihr Geschäft mit dem Mitleid glaubwürdiger erscheinen zu lassen. Nicht selten zeigen die dann Phantasieausweise vor, um die potentiellen Kunden in der scheinbaren Gewissheit zu wiegen, mit dem Kauf zugleich ein gutes Werk für behinderte Menschen getan zu haben.

Anerkannte Werkstätten für behinderte Menschen verkaufen keine Produkte an Haustür oder Telefon!

Quelle: http://www.bagwfbm.de/page/44

Eindeutiger geht’s wohl nicht, oder?

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